Häufige Fragen zur aktuellen Streiksituation


FAQ: 

Warum streiken die pädagogischen Fachkräfte überhaupt?

Viele unserer Kolleginnen und Kollegen folgen dem Streikaufruf von Verdi und der GEW, weil sie ihren Beruf lieben und gerne dem Anspruch auf pädagogische Qualität, der von gesetzlicher Seite, wie auch von Ihnen als Eltern und vor allem von sich selbst an sie gestellt wird, gerechter werden möchten. 

Mit der Zeit sind die Anforderungen an den Beruf der Erzieherin und des Erziehers in den Kitas gestiegen, weil sie nicht einfach nur Kinder betreuen, sondern auch ganz wichtige und wertvolle Bildungsarbeit leisten sollen und wollen. Dazu gehört die Stärkung der kindlichen Kompetenzen, die Gestaltung pädagogischer Prozesse, die Integration von Kindern mit Behinderung und Frühförderung, dazu gehört die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Eltern, die Gestaltung von Übergängen, dazu gehört die Vorbereitung und Durchführung von Projektarbeit in den Bildungsbereichen Gesundheit, soziales und kulturelles Leben, Kommunikation, Sprachförderung, Kunst, Mathematik, Natur, Umwelt und Technik, dazu gehört die Demokratische Teilhabe, die Zusammenarbeit und Kommunikation im Team sowie mit der Leitung und dem Träger und dazu gehören Dokumentationen, Fortbildungen, interne wie externe Evaluationen... 

Dass es diese Vorgaben gibt, ist eigentlich gut, denn sie sollen die Qualität der pädagogischen Arbeit sichern und die jungen Menschen in ihren entscheidenden ersten Lebensjahren bestmöglich auf ihr weiteres Leben vorbereiten. Die Umsetzung der pädagogischen Qualitätsansprüche braucht allerdings mehr Zeit. Deswegen fordert das Berliner Kitabündnis auch schon lange mehr Zeit für Kinder und mehr Zeit für Dialog: https://www.berliner-kitabuendnis.de/positionen/index.html

Gleichzeitig gibt es mehr Kinder mit besonderen Bedarfen, die zu Recht mehr Zuwendung und Förderung brauchen. Sei es, weil sie zu Hause weniger soziale, motorische, kognitive oder sprachliche Kompetenzen erlernen konnten oder weil sie Verhaltensauffälligkeiten oder seelische Erkrankungen mitbringen. Vgl. z.B. BELLA-Studie https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Kiggs/kiggs_node.html

Besonders erschwerend kommt hinzu, dass wir – und das ist kein Phänomen der Eigenbetriebe, sondern das bestätigen die Krankenkassen bundesweit – in den Kitas immer mehr Kolleginnen und Kollegen haben, die häufiger, länger und schwerer erkranken. Das führt trotz diverser Maßnahmen im Gesundheitsmanagement zu einer folgenschweren Negativspirale aus Erkrankungen, Überlastung der anwesenden Kolleg*innen und darauf folgenden weiteren Erkrankungen. 

 Vgl. z.B.: https://www.dak.de/presse/bundesthemen/umfragen-studien/psychische-erkrankungen-auf-hoechststand-beschaeftigte-in-kitas-und-altenpflege-besonders-belastet_59152

Eine weitere Folge dieser Überlastungen ist, dass immer mehr – auch wieder bundesweit – pädagogische Fachkräfte in Kitas in die Teilzeit „fliehen“, was wiederum die Dienstplanung und Kommunikation in Teams erschwert.

Vgl. z.B. https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-flucht-in-die-teilzeit-61028.htm?trk=article-ssr-frontend-pulse_little-text-block

Keine*r unserer Erzieher*innen möchte ihren oder seinen Beruf schlecht reden. Im Gegenteil: Für sie gibt es keinen schöneren und sinnvolleren Beruf und deshalb kämpfen sie für bessere Bedingungen. 

Wie können Sie als Geschäftsleitung die Erzieherinnen streiken lassen, während wir Eltern weder ein noch aus wissen? Wir haben doch einen Betreuungsvertrag!

Die Überlastung, welche die Streiks für Sie bedeuten und die beruflichen Schwierigkeiten, in welche Sie durch die Betreuungsausfälle gebracht werden, tun uns außerordentlich leid. Die Geschäftsleitung hat jedoch keinen Einfluss auf das Streikgeschehen. Die Gewerkschaften rufen zum sogenannten Arbeitskampf auf und die Kolleginnen und Kollegen haben ein Streikrecht, das sich aus dem Grundgesetz ableitet. So wurde im Zusammenhang mit einer aktuellen (und abgewiesenen) elterlichen Klage vor dem Verwaltungsgericht formuliert: „Das Streikrecht nach Art. 9 Abs. 3 GG aus dem auch das verfassungsrechtliche verbürgte Streikrecht folgt, ist eine Verfassungsbestimmung mit sehr hohem Rang. Dies zeigt sich zum einen, dass diese nicht wie andere Verfassungsbestimmungen einem Gesetzesvorbehalt unterliegt. Es unterliegt nur den verfassungsimmanenten Schranken. Darüber hinaus stellt dieser Artikel sogar klar, dass er nicht einmal bei Notstandssituationen eingeschränkt werden darf. […]. Trotzdem haben sich die Verfassungsväter dazu entschieden, umfassende Arbeitskampfmaßnahmen zu ermöglichen und diese im Prinzip auch ohne Schranken (Gesetzesvorbehalt) zu gewähren. Lediglich verfassungsimmanente Schranken gelten. Für die Kita Eigenbetriebe hier Süd-West besteht lediglich eine Verpflichtung einen gewissen reduzierten Notbetrieb zur Verfügung zu stellen. Dies erfüllt der Kita Betrieb Süd-West.

Das Streikrecht überlagert das Recht, das sich aus Ihrem Betreuungsvertrag ableitet. Ein vertraglicher Anspruch aus dem Kitabetreuungsvertrag scheidet für Sie somit leider aus.

Wieso haben sich die Geschäftsleiter*innen der anderen Kita-Eigenbetriebe offiziell von dem Streik distanziert, Sie aber nicht?

Wir enthalten uns hier ganz bewusst: Einerseits respektieren wir das Streikrecht unserer Kolleginnen und Kollegen und möchten ihnen nicht in den Rücken fallen, andererseits haben wir größtes Verständnis für die daraus entstehende missliche Lage unserer Familien und geben unser Bestes, Notbetreuungen zu organisieren und in einem guten Austausch zu bleiben. Darum haben wir auch die Gesamtelternvertreter*innen aller Kitas und Vertreter*innen der Gewerkschaft eingeladen, mit uns und miteinander in das Gespräch zu kommen.  

Das Wichtigste ist augenblicklich, sich nicht gegeneinander auszuspielen, sondern in den Dialog zu kommen. 

Wir sitzen alle im gleichen Boot mit demselben Ziel: Langfristige Betreuungssicherheit und gute Bedingungen für frühkindliche Bildung! 

Wieso läuft das so ungerecht mit den Notbetreuungsangeboten?

Wir sind alle mit vereinten Kräften bemüht, Notbetreuungen so gut es irgendwie geht, zu organisieren. Besonders herausfordernd dabei ist, dass wir eigentlich erst am frühen Morgen des Streiktags selbst sicher wissen, in welchen Kitas wie viele Kolleginnen und Kollegen nicht streiken und auch nicht krank sind und für Notbetreuungen zur Verfügung stehen. Es gibt Kitas, deren Kollegium geschlossen streikt, was auch ein Notbetreuungsangebot in einer Kita in der Nähe unmöglich macht, denn: Kinder brauchen eine ihnen vertraute Bezugsperson. Auch die Leitungskräfte der Kitas haben ein Streikrecht.

Wenn dann eine Notbetreuung angeboten werden kann, ist es für Sie wichtig zu wissen, nach welchen Kriterien entschieden wurde, welche Kinder kommen dürfen. Wir haben im Rahmen unserer Dialog-Veranstaltung von Ihnen gehört, dass wir – was die Kommunikation mit Ihnen als Eltern und die Transparenz zu der Auswahl betrifft - teilweise noch ganz schön Luft nach oben haben. Wir sind Ihnen sehr dankbar für die Hinweise – nur so können wir zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Ich muss an dieser Stelle jedoch darauf hinweisen, dass es in Einzelfällen zu Entscheidungen kommen kann, die wir nicht transparent begründen können, da Informationen zum Kindeswohl aus guten Datenschutzgründen vertraulich behandelt werden. Wenn Sie einen lebensrettenden Beruf ausüben (z.B. Ärztin, Polizist, Feuerwehrmensch) und bislang noch nicht priorisiert wurden, sagen Sie bitte Bescheid. 

Eine ganz dringende Bitte haben wir an Sie: Bitte – auch wenn Sie sich ganz verständlich unglaublich ärgern, weil sie vielleicht am frühen Morgen vor der Kita stehen und die erhoffte Notbetreuung doch nicht angeboten werden kann, da die pädagogische Fachkraft unvorhergesehen erkrankt ist oder doch streikt und Sie mit Ihrem Kind deswegen leider abgewiesen werden müssen – gehen Sie unbedingt immer respektvoll mit unseren Kolleginnen und Kollegen um. 

Dann geben Sie doch bitte endlich mehr Personal in die Häuser!

Das würden wir sehr, sehr gerne, können es aber nicht. Das pädagogische Personal wird in Berlin über das sog. "Kostenblatt RV Tag" finanziert. Je nach Alter und Betreuungsumfang erhalten wir für jedes Kind die Finanzierung bestimmter Personalstellenanteile. Erkrankt eine Kollegin, erhält sie im Rahmen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sechs Wochen lang weiter von uns ihr volles Gehalt. Dauert die Erkrankung länger als sechs Wochen, wird sie aus unserem Zahlungssystem "ausgesteuert" und erhält dann von der Krankenkasse Krankengeld. Ab diesem Moment erst haben wir Gelder zur Verfügung, um die ausgefallene pädagogische Fachkraft mit der Fachkraft einer Zeitarbeitsfirma zu ersetzen. 

Das heißt, obwohl Personalausfälle beim gesetzlichen Personalanspruch grundsätzlich berücksichtigt sind, stehen in der Praxis keine Mittel zur Verfügung, um für Urlaubsvertretungen oder kurzfristige Krankheitsvertretungen zusätzliche Springer*innen einzustellen. Die normalen (z.B. urlaubs- oder fortbildungsbedingten) Ausfallzeiten und die zunehmenden krankheitsbedingten Ausfallzeiten sowie die Zeiten, die für mittelbare pädagogische Arbeiten (wie z.B. Elterngespräche, Kooperationen mit Förderstellen, Evaluationen) benötigt werden, führen zu der ungeheuren Differenz zwischen dem - bereits von wissenschaftlichen Empfehlungen negativ abweichende - festgelegten und finanzierten Personalschlüssel (also dem, was dem Papier nach in den Kitas sein sollte) und der faktischen Fachkraft-Kind-Relation (also den tatsächlich am Kind arbeitenden pädagogischen Fachkräften). 

Eine sehr gut nachvollziehbare Erläuterung hierzu finden Sie z.B. hier: https://www.gew.de/kita/qualitaet/personalschluessel-und-fachkraft-kind-...

Wissenschaftlich orientierte und gut verständliche Erläuterungen zum aktuellen und noch nicht kindgerechten Personalschlüssel finden Sie z.B. hier: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2023/november/mehr-plaetze-und-bessere-qualitaet-in-kitas-bis-2030-wenn-jetzt-entschlossen-gehandelt-wird

Wie sinnvoll sind die Forderungen, wenn die Kassen doch alle leer sind?

Unsere Senatsverwaltung hat schon viel für die Kitalandschaft getan. Das wird gesehen und anerkannt. Gleichzeitig leiden Kinder, Familien und pädagogische Fachkräfte zunehmend unter der Negativspirale aus Erkrankungen und Überlastungen und – unabhängig vom Träger – den sich daraus ergebenden Betreuungseinschränkungen oder gar -ausfällen. 

Was wir dringend benötigen ist ein gesamtpolitisches Bekenntnis, Bildung ernsthaft und konsequent zu priorisieren - auch mit Blick auf den im internationalen Vergleich zunehmend weiter abfallenden Wirtschaftsstandort Deutschland und unseren sozialen Frieden. 

Statt nur 4,5 % unseres Bruttoinlandsproduktes in Bildung zu investieren, sollten wir uns an weitsichtigeren Ländern wie Schweden (6,3%) oder besser noch Island mit 7,1% orientieren. 

(Stand 2022, Quelle: Eurostat - Government expenditure on education: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Government_expenditure_on_education )